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 Betreff des Beitrags: Das "Judasevangelium"
BeitragVerfasst: Di 9. Apr 2013, 12:11 
Administrator

Registriert: Mi 21. Nov 2012, 02:44
Beiträge: 96
Manche Anhänger von Neuoffenbarungen wurden bereits mit dem Vorwurf konfrontiert sie seien Gnostiker oder bestimmte Neuoffenbarungen würden gnostische Lehren beinhalten. Daher gibt es manche aus dieser Strömung, die sich mit Interesse fragen, was es mit dieser Gnosis eigentlich auf sich hat und welche Inhalte tatsächlich gelehrt wurden.

Deswegen möchte ich aus einem Zeitungsartikel zum "Judasevangelium" zitieren, der veranschaulicht, wie weit diese gnostische Darstellung von "unseren" Neuoffenbarungen entfernt ist:
Zitat:
Das Judasevangelium teilt einige charakteristische Züge mit anderen gnostischen Evangelien: Ein der Lehrübermittlung dienender Dialog ist eingebettet in einen narrativen Rahmen. Während sich aber sonst die österlichen Erscheinungen des auferstandenen Jesus als Plattform für eine geheime Lehre anbieten, wählt der Judasevangelist die letzten Tage, die der Passion Jesu vorangehen, verankert also «das geheime Wort der Offenbarung» im Leben des irdischen Jesus. Frühchristliche Evangelien arbeiten gern mit einem markanten Kontrast: Im Jüngerkreis stehen sich Verständige und Bornierte gegenüber. Das Judasevangelium verschärft das Gegenüber: Judas steht allen anderen, die in tiefstem Irrtum befangen sind, gegenüber und erhält von Jesus eine exklusive Belehrung über die «Geheimnisse des Königreichs».

Diese literarische Figur hat dazu geführt, dass man bei Bekanntwerden des Textes Judas als den alleinigen wahren Jünger Jesu zelebriert hat, ganz im Unterschied zu den kanonischen Evangelien und zur kirchlichen Tradition. Für die übrigen Jünger hat Jesus in diesem Evangelium tatsächlich nur Ironie und Spott übrig. So verhöhnt er ihr zentrales Kultritual, das Abendmahl, das sich nicht an den wahren, jenseitigen Gott, sondern an den niedrigen Weltschöpfergott, den Gott Israels, richte und die Gläubigen wie Opfertiere zerstöre. Judas solle sich von den Irregeleiteten «trennen». Jesus kündigt ihm an, dass er das einzige wahre Opfer vollziehen werde: «Du wirst den Menschen, der mich trägt, opfern.» Wenn Judas also in der Nacht seines Verrats den Meister seinen Gegnern ausliefert, dann täuscht er diese. Jesus gerät nicht in die Mühlen ihrer Justiz: «Derjenige, der mich trägt, wird morgen gequält werden. Amen, ich sage euch: Nicht wird die Hand eines sterblichen Menschen sich an mir vergehen.» Offenbar trennt sich der göttliche Jesus noch vor der Passion von seinem menschlichen «Träger».

So überlegen Judas seinen Mitjüngern aber gegenübersteht, so zwielichtig wird er in diesem gnostischen Evangelium porträtiert. Jesus tituliert ihn als «dreizehnten Dämon» und ordnet ihn damit der unteren Welt zu. Er steht wie die anderen Jünger unter den die Welt beherrschenden Mächten und wird von einem verirrten Stern geführt. Seine eigene Vision vom himmlischen Ort, die er Jesus anvertraut, stammt nicht aus der Wahrheit: «Dein Stern hat dich getäuscht, o Judas!» Die himmlischen Lichtregionen sind dem «heiligen, starken und unvergänglichen Geschlecht» vorbehalten, zu dem Judas selber nicht zählt: «Du wirst nicht zur Höhe gehen zu dem heiligen Geschlecht.» Wir dürfen annehmen, dass sich die Gruppen, für die dieser und andere gnostische Texte bedeutsam waren, zum exklusiven Kreis der Erwählten gezählt haben – Judas gehört offenbar nicht dazu.

Auf dem erzählerischen Höhepunkt des Evangeliums kommt es zu einer eigentümlichen Abschiedsszene: Nachdem Jesus Judas seine geheime Kosmogonie offenbart hat – das Wissen über «den grossen und unendlichen Äon, dessen Mass kein Engelgeschlecht gesehen hat, in dem der grosse, unsichtbare Geist ist» –, erscheint vom Himmel her eine Lichtwolke, der Judas' eigener Stern vorangeht. Nun folgt die Schlüsselszene: «Judas aber richtete seinen Blick nach oben und sah die lichte Wolke; und er ging in sie hinein.» Wer ist «er»? Man denkt zunächst spontan an Judas, das Subjekt des vorangegangenen Satzteils. Judas wäre dann in der Lichtwolke entrückt worden, und das hat die Forschung gleich nach der Entdeckung des Texts als herausstechende Auszeichnung des sonst so Verfemten gewürdigt.

Ein neues Fragment, das gleich anschliessend eine Textlücke füllt, weist aber in eine ganz andere Richtung: «Und Judas hörte auf, Jesus zu sehen.» Es spricht dafür, dass Jesus selber in der Lichtwolke entschwebt und sich damit der Passion entzieht! Er kehrt dorthin zurück, woher er gekommen ist, wie es eine Stimme sagt, die aus der Wolke ertönt: heim «zum grossen Geschlecht». In der Folge treten seine Gegner auf, und Judas tut sein Werk: Er «empfing Geld und überlieferte ihn an sie». Mit diesen Worten endet die Erzählung.

http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/li ... 1.18055483


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